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12 junge Menschen, Teilnehmende des Projekt Chance, einem Strafvollzugsprogramm in freien Formen, rappen über ihr Leben und ihre Perspektiven – vor, während und nach der Haft.

Montagmorgen, pünktlich um 6.05 Uhr, geht es los im Frauental. Auf dem Hof eines ehemaligen Klostergeländes machen sich die Jugendlichen bereit für ihre morgendliche Jogging-Runde. Das Team von basa e.V. trägt zwar keine Laufschuhe, trotzdem sind schon alle auf den Beinen. Das Seminarprogramm beginnt punktgenau um 8:00 Uhr, Verzögerungen führen im Projektalltag zu Minuspunkten. Das spürt man auch im Rapworkshop, auch wenn ansonsten die Woche eher ungewöhnlich locker für die Teilnehmenden verläuft. Bereits zum vierten Mal kooperiert basa e.V. mit dem CJD Creglingen, um gemeinsam mit den Jugendlichen entlang von Hip Hop und Rap gesellschaftliche Herausforderungen zu diskutieren und den eigenen Standort sowie das eigene Verhältnis dazu zu reflektieren. Das Thema der Projektwoche: Rap und Identität.

Alle beschäftigen sich eine Woche lang mit HipHop, im Speziellen dem Element Rap / Sprechgesang. Es geht um die Faszination, Geschichte und Kraft dieser globalen (Jugend-) Kultur, aber auch um deren problematischen Inhalte und Bilder. Viele der Teilnehmenden hören regelmäßig Rap, vornehmlich „Gangsterrap“ mit Texten, die von Drogen, Sexarbeit und Kriminalität handeln. Zwei Teilnehmende rappen selbst schon länger, haben sogar bereits ein paar Texte aufgenommen.

Zunächst beschäftigen sich die Jugendlichen mit der Inszenierung von Rap in Musik, Text und Video. Besondere Beachtung schenken wir dabei der Frage, welche Inhalte und Bilder dargeboten werden. Wir diskutieren darüber, warum Gewalt, Drogen, Frauen und Scheine so wichtig zu sein scheinen. Einer der Jugendlichen greift das später auch in seinem Text auf, wenn er sagt „ich war nie einer der Reichen […] wir jagten die bunten Scheine“. Drogen sind ein schneller Weg, um an Geld zu kommen. Und alle der Teilnehmenden erzählen, dass sie vor der Haft Geld brauchten oder schlicht auch mal haben wollten. Vielen von ihnen schien der kriminelle Weg der einfachere, legale Wege wirkten zu schwer. Dies kann im Workshop immer wieder diskutiert werden.

In Rapmusik, auch im sog. Gangsterrap geht es oft um gesellschaftliche Ausschlüsse. Leider bleibt Gangsterrap nicht bei der Thematisierung von Ausschlüssen stehen. Vielmehr werden Gewalt- und Drogenexzesse stilisiert und gefeiert. Im Laufe des Workshops wird klar, dass die Jugendlichen innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse zu bestimmten Zeiten in ihrem Leben kaum Alternativen sahen und/oder hatten. „Die rappen über unser Leben“, kommentiert so einer der Teilnehmenden ein Video und plausibilisiert den Erfolg der entsprechenden Künstler*.

An die Erfahrungen der Jugendlichen anknüpfend, rekapitulieren wir die Geschichte der Hiphopkultur – von ihren Anfängen in den Schwarzen Communitys in den USA über die Anfänge in Deutschland in Heidelberg und Mannheim und dem Ruhrgebiet – bis zur aktuellen, an Vielfalt kaum zu übertreffenden Bandbreite an Künstler*innen, Subgenre und Artikulationsformen in deutschsprachigem Rap heute.
Viele der Teilnehmenden haben sich bisher kaum mit der Geschichte von Rap auseinander gesetzt. Gerade die emanzipatorischen Potentiale von Hip Hop sind nicht bekannt. Auch kennen die Jugendlichen keine weiblichen* Akteur*innen der Rapszene und sind von der Vielzahl der in der Szene engagierten Künstlerinnen* überrascht.

Einige der Teilnehmenden erzählen, dass sie vor einem „Ding“, einer Straftat, schon manchmal genau jene Musik , hören, die kriminelle Taten glorifiziert. Gangstarap kann so als Stimmungsgebende Musik wirken und Stimmungen verstärken. In der Auseinandersetzung mit anderen, ihnen bisher unbekannten Künstler*innen lernen die Jugendliche für sie neue Formen von Rap, Hip Hop und Selbstinszenierung kennen, insbesondere solche Ausdrucksformen jenseits von Gewalt- und Drogenphantasien.

So entsteht in unserer Workshopwoche der gemeinsame Track „Einheit“, der die Bedeutung ihrer Gruppe und ihrem besonderen Zusammenhalt herausstellt, den sie brauchen, um die Zeit im Projekt und ihrer Haft zu überstehen. Nur gemeinsam können Sie Perspektiven für ein Leben nach der Haft jenseits von potentiellen Straftaten entwickeln. Ein Teilnehmer bringt es perfekt auf den Punkt: „mit diesem Track wollen wir uns motivieren, uns daran erinnern wenn wir den Mut verlieren“.

Rap als positive Kraft statt zerstörend oder kriminalisierend zu wirken – so beginnen sie Rap zu begreifen als eine Musik, die sie nicht in den Knast, sondern ganz im Gegenteil, da herausbringen kann: „Geben hier Gas, geben uns Kraft, Hand drauf von uns will hier keiner mehr in die Haft“.

Das fünftägige Rap-Projekt in Kooperation mit dem CJD Creglingen wurde gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.

Text und Bilder mit freundlicher Genehmigung von Bildungstätte Alte Schule Anspach e.V. (basa) zur Verfügung gestellt.

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